Das Austauschjahr hat für mich erst wirklich real begonnen als ich einen Anruf von into bekam. Ich hatte mich relativ spät angemeldet und musste auch länger warten. Als der Anruf kam, hatte ich nicht wirklich damit gerechnet obwohl ich die vorherigen Wochen jede fünf Minuten meine Mails gecheckt hatte, aber natürlich kommt so etwas dann doch immer unerwartet. Ich freute mich riesig als ich endlich erfuhr dass ich eine Gastfamilie hatte. Natürlich wollte ich direkt alles wissen: Wo wohnen sie? Haben sie Kinder? Wo werde ich zur Schule gehen? Mein Flug ging vier Tage später, deswegen hatte ich nicht viel Zeit mich mit meinen Gasteltern zu unterhalten, aber einmal telefonieren und ein paar E-Mails waren dann doch drin. Ich hatte eine Gastschwester (2) und einen Gastbruder (5). Zwar hatte ich nicht viel Erfahrung mit kleinen Kindern, aber ich freute mich trotzdem. Leider konnte ich dann nicht in das New York Orientation Camp, da meine High School schon seit anderthalb Wochen angefangen hatte, aber ich flog mit den anderen Austauschschülern nach New York und war dann auch viel zu aufgeregt, dass ich meine Gastfamilie bald kennenlernen würde, so dass ich nicht wirklich traurig war.
In Cleveland angekommen, suchte ich mich durch den doch etwas kleineren Flughafen um mein Gepäck zu finden, lief dabei prompt in die falsche Richtung bis mir eine Frau hinterherlief und mich fragte ob ich Alicia wäre - es war meine Gastmutter. Ich freute mich und sie zeigte mir dann erst mal den richtigen Weg wo mein Gastvater am Gepäckband schon auf uns wartete. Wir packten mein Gepäck in den Kofferraum und begaben uns auf den einstündigen Weg zu meinem neuen Zuhause. Das Haus lag abgelegen von irgendwelchen Nachbarn und konnte nur über einen 500m langen Driveway erreicht werden. Wie die Amerikaner so schön sagen: „in the middle of nowhere“. Im Haus kamen mir meine Gastschwester Alyssa und mein Gastbruder Dakota sofort entgegen und umarmten mich. Obwohl sie mich noch gar nicht kannten und ich sie auch nicht schloss ich sie sofort in mein Herz. Die Kleinen waren einfach so niedlich! Der zehnstündige Flug und die Zeitverschiebung holten mich dann doch irgendwann ein und ich fiel wie tot nach einer angenehmen Dusche ins Bett.
Am nächsten Morgen ging es dann auch direkt in die Schule, ich sollte meinen Stundenplan aussuchen. Die Fächerwahl fand ich einfach toll. Dort gab es Fächer wie Photography, Speech und noch viel mehr. Die Kurse wie bei uns Mathe und Englisch musste ich aber natürlich auch wählen. Da die Stundenpläne sich dort jeden Tag wiederholen, hatte ich also jeden Tag Photography I/II, American History, Algebra II, Study Hall (eine Stunde in der man Hausaufgaben machen konnte, bei uns wurden jedoch heimlicherweise Filme geguckt was ich jetzt nicht so schlimm fand), Biology I, danach Lunch, English 10 und am Ende des Tages noch Web Design (bzw. im zweiten Halbjahr Computer Applications). Ich liebte meinen Stundenplan auch wenn wir bis 3 Uhr Schule hatten. Man ließ mir an dem Tag dann noch die Wahl direkt in den Unterricht zu gehen oder mich erst mal auszuruhen und mich vorzubereiten. Hörte sich verlockend an, aber ich bin nun mal ein neugieriger Mensch, also ging ich direkt in den Unterricht. Ich bekam ein Schließfach, bei dem ich leider etwas Probleme hatte es aufzubekommen, aber irgendwann konnte ich es dann sogar ohne hinzugucken. Den ganzen Tag kam ich mir wie in einem dieser amerikanischen Filme vor. Das Highlight für mich persönlich waren die gelben Schulbusse, mit dem ich nach Hause fahren durfte. An meiner High School gab es noch ein anderes Mädchen aus Deutschland und im Laufe des Jahres kamen dann auch noch ein weiterer deutscher Austauschschüler und eine brasilianische Austauschschülerin dazu. Als ich zu meinen Klassen ging, erwähnten die Lehrer mich kurz und ich wurde von meinen Mitschülern interessiert angeguckt. Der Unterricht verlief ganz okay an diesem Tag. Ich hatte mich noch nicht wirklich an das System der Lehrer gewöhnt, da sie immer alle Hausaufgaben einsammelten und es auch sonst komplett anders war wie zu Hause, aber mit der Zeit kam ich damit dann auch sehr gut zurecht.
Ich fing an mich einzuleben und Freunde zu finden. Nach ungefähr 1-2 Monaten war ich dann auch schon komplett drin. Ich liebte es. Schule war relativ einfach, da man sich „notecards“ für Tests machen durfte, wo alles was man brauchte draufstand und für jede eingereichte Hausaufgabe gab es Punkte, die dann deine Note später ergaben. Ich hatte jetzt auch einen festen Freundeskreis mit denen ich jeden Mittag am Lunch-Tisch saß. Der meiste Teil spielte sich in der Schule ab, wo ich dann später in der Winter-Saison auch Basketball spielte, dadurch war ich dann teilweise bis 7 Uhr abends in der Schule.
Die Zeit verflog und auf einmal war schon Weihnachten. Meine Gasteltern hatten wahrscheinlich sämtliche Geschenkläden leer gekauft, und ich half ihnen dabei alles einzupacken. Es war wirklich viel. Nachdem meine Gastgeschwister am 24. Dezember schlafen gegangen waren, holten wir dann alles hervor und legten es unter den Weihnachtsbaum, wobei das nicht wirklich klappte denn das halbe Wohnzimmer war voll mit Geschenken. Und das Wohnzimmer war nicht klein! Am nächsten Morgen waren die beiden Kleinen super aufgeregt und stürmten die Treppe runter. Ihre Gesichter waren unbezahlbar, sie strahlten um die Wette. Als es ans Auspacken ging, war bald, nicht übertrieben, kein Boden mehr zu sehen vom ganzen Geschenkpapier. Natürlich vermisste ich meine Eltern und Freunde auch, meine Eltern sah ich über Skype so ungefähr alle zwei Wochen. Mit meinen Freunden war das irgendwie etwas komplizierter, da schrieben wir manchmal über Facebook, aber skypen oder telefonieren gab es da nur selten. Ich hatte ja auch andere Sachen zu tun. Das verstanden die meisten meiner Freunde und als ich wiederkam, waren sie noch fast die Alten. Aber jetzt mal wieder zurück zu meinem Austauschjahr als ich noch da war. Ich machte auch ein paar Reisen mit meinen Gasteltern. Einmal machten wir eine Kreuzfahrt von New Orleans nach Key West und wieder zurück. Es war atemberaubend, so schön warm im Oktober wo ich doch aus dem ziemlich kalten Ohio kam. Außerdem fuhren wir nach Tennessee weil dort die Schwester meiner Gastmutter wohnte. Tennessee ist auch wunderschön. Aber am besten von allen meinen Reisen hat mir Las Vegas gefallen. Ich flog dort mit Ana, der brasilianischen Austauschschülerin, ihrer Grandma (Gastmutter) und deren Schwester hin. Es kam mir mitten in der Wüste kein bisschen vor wie Frühling, eher wie Hochsommer, aber ich denke es war gut nicht im Sommer zu fahren, ich hätte wahrscheinlich einen Hitzeschlag bekommen. Dort gab es einfach überall etwas anderes zu sehen, und auch ohne dass ich an den Automaten spielen konnte, war Vegas toll.
Gegen Ende des Jahres bekam meine Gastmutter einen Sohn, Austin. Es war schon aufregend die komplette Schwangerschaft meiner Gastmutter mitzukriegen. Und natürlich auch wie der Kleine dann nach Hause kam. Er war so winzig und süß. Ich hatte sogar ein wenig Angst, wenn ich ihn in den Arm genommen habe, aber das legte sich dann auch. Um mal ganz ehrlich zu sein: klar gab es Momente in meinem Austausch da dachte ich mir: „Wieso tue ich das hier überhaupt?“ Aber solche Momente hat man überall. Kurz darauf wusste ich dann auch wieder wieso: Es war einer der größten und tollsten Erlebnisse meines Lebens und das kann mir niemand mehr nehmen. Außerdem finde ich, habe ich viel dazu gelernt, denn wenn man mal etwas mehr auf sich selbst gestellt ist, kommen einem im Nachhinein zu Hause ein paar Sachen über die man sich früher aufgeregt hatte, übertrieben vor.