Wunderschöne raue Natur, das Seeungeheuer Nessie, Regen, Schottenröcke, Dudelsäcke, Haggis, Golf. Das und vieles mehr kommt einem in den Sinn, wenn man an Schottland denkt. Aber ist es wirklich so wie man denkt? Lebt das Land von seinen Klischees und seiner Geschichte? Sprechen die Schotten wirklich Schottisch? Und – nicht zuletzt – wird in Großbritannien wirklich so viel Tee getrunken? Diesen Gedanken wollte ich einfach mal auf den Grund gehen und habe mich entschieden, für eine längere Zeit in Schottland zu leben. Für ein ganzes Schuljahr um genauer zu sein. Das würde mir nicht nur meine Fragen beantworten, ich würde auch noch ungemein wertvolle Erfahrungen sammeln, viele Freunde finden und die Sprache lernen. Die Sprache, die man in Schottland spricht, ist Englisch – wenn auch manchmal mit starken schottischen Akzent, der dann nur noch sehr schwer zu verstehen ist.
Das Land stand also fest, der Zeitraum auch - jetzt fehlte nur noch die passende Organisation. Die war auch schnell gefunden, da ‚into‘ einen guten seriösen Eindruck machte und obendrein auch noch Schottland anbot. Nach einem kleinen Vorstellungsgespräch und einer aufwändigen Bewerbung hieß es: Warten. Die Zeit hat man sich mit nie aufhörender Vorfreude vertrieben, man hat sämtliche Lektüre über das Land gelesen und sich langsam aber sicher von allen verabschiedet, um sie nach einem Jahr wiederzusehen. Natürlich kamen ein paar Zweifel auf: War das die richtige Entscheidung? Ist ein Jahr nicht vielleicht doch zu lang? Aber ehe man sich versah, saß man dann auch schon im Flugzeug in Richtung Nordwesten. Einige Leute, die man auf dem Vorbereitungsseminar kennengelernt hat, sind mitgeflogen, somit war es eine lustige, aufgeregte Gesellschaft, die es nicht erwarten konnte, ihre Gastfamilien endlich das erste Mal zu sehen. Ich wurde nach North Berwick gebracht, einem kleinen, ruhigen, wunderschönen Städtchen am Meer rund 40 km entfernt von der Hauptstadt Edinburgh. Meine Gastmutter und meine Gastkatze waren beide sehr liebenswert und haben mich gut aufgenommen. Auch mit den unzählig vielen anderen Familienmitgliedern, mit denen man sich hin und wieder traf, bin ich gut ausgekommen. Kaum war ich in Schottland angekommen, habe ich erstmal eine Tasse Tee getrunken. Es ist also wahr – ohne eine Tasse Tee ist man einfach nicht britisch genug. Nach meiner Ankunft hatte ich noch vier Tage Zeit mich mit meiner neuen Umgebung vertraut zu machen, um dann endlich in die neue Schule zu gehen.
Der erste Schultag war sehr aufregend, aber auch sehr anstrengend. Ich war echt erschöpft und hatte so viele neue Eindrücke zu verarbeiten. Alle waren sehr freundlich zu mir, haben mich ausgefragt und mir den Weg durch die Schule gezeigt. Ich brauchte ganze zwei Wochen mich in den verwinkelten Ecken der Schule alleine zurecht zu finden! Meine Schule hatte ungefähr tausend Schüler, was für sehr viel Chaos in der Kantine sorgte. Es waren einfach so viele Menschen, die ihr Essen kaufen wollten, dass man manchmal 20 Minuten anstehen musste. Eine besonders witzige Schulregel fand ich, dass man im Gang immer links an den Leuten vorbeigehen sollte. Ist ja auch klar, in einem Land mit Linksverkehr, aber in der Schule waren die Gänge so eng, dass auf solch eine Regel einfach noch einmal hingewiesen werden musste. Ich war im Jahrgang S5, also der 11. Klasse, in der man fünf Fächer wählen musste. Ich habe mich für Englisch, Mathe, Musik, Französisch und Geografie entschieden. In diesen Fächern musste man dann am Ende des Schuljahres jeweils ein Examen schreiben. Mit meinen Fächern hatte ich jedoch keine großartigen Probleme und es hat mir oft viel Spaß bereitet. Nur mussten wir leider sehr oft Aufsätze schreiben, und manchmal war Englisch ganz schön schwierig, aber anfangs hatte ich ja den Ausländerbonus – damit ist man überall erstmal durchgekommen. Mein Englisch war anfangs nicht sehr besonders, was sich aber sehr rapide geändert hat. Ich habe jeden Tag enorm dazu gelernt, konnte mich immer mehr und besser ausdrücken bis ich irgendwann keine großen Schwierigkeiten mehr hatte und ich nicht mehr sofort als Englischlernender bei fremden Leuten eingestuft wurde. Mit der Zeit konnte ich sogar ein bisschen beeindrucken, wenn es im Englischunterricht um Stilmittel und Grammatik ging, denn in diesen Gebieten waren die Muttersprachler nicht sehr bewandert.
Außerdem ist mir die wahnsinnige technische Ausstattung in den Klassenzimmern sofort aufgefallen und ich habe mich gefragt, warum wir Wörter wie ‚Tafel‘, ‚Kreide‘ oder ‚Schwamm‘ auf Englisch in der Schule gelernt haben, das gab es dort nämlich gar nicht! Dort hatte man sogenannte ‚Activeboards‘, also Tafeln mit Touchscreen, die mit einem Computer einschließlich ausgeklügelter Programme verbunden waren, mit denen unter anderem die Anwesenheit der Schüler jede Stunde geprüft wurde. Wenn man übrigens zur ersten Stunde zu spät kam, musste man in der Mittagspause nachsitzen! Aber ansonsten war das Lehrer-Schüler-Verhältnis auf sehr freundschaftlicher Basis. Lehrer haben sich für dich interessiert, sie waren immer bereit zu helfen und haben sich um dich gesorgt! Sie haben sogar Nachhilfe in den Mittagspausen und nach der Schule angeboten, was auch ich manchmal gerne angenommen habe. Sehr überwältigt hat mich auch die enorme Auswahl an Aktivitäten nach der Schule bzw. in der Mittagspause. Die Mittagspause war 50 Minuten lang, somit war Zeit zum Essen und ggf. Musizieren. Meine Schule bot sehr viele Musikgruppen, Sportaktivitäten und Theatergruppen an. Es war für jeden etwas dabei und ich habe dieses Angebot mit viel Freude genutzt. Zum Beispiel war ich segeln, Hockey spielen, in der Theatergruppe und in zahlreichen Orchestern mit denen wir auch öfter mal Konzerte hatten. Somit konnte ich sehr schnell viele Kontakte knüpfen und Freundschaften schließen. Besonders die Theaterproben waren sehr intensiv und haben viel Spaß gemacht. Wir haben das schottische Stück „Macbeth“ von Shakespeare gespielt und konnten sehr viel Lob für unseren Aufführungen am Ende des Schuljahres ernten.
Mit meinen neuen Freunden habe ich mich öfter nach der Schule oder am Wochenende getroffen, um auch hin und wieder einen Ausflug nach Edinburgh zu machen. Edinburgh ist eine wunderschöne Stadt mit vielen historischen Bauten und schottischer Kultur. Diese Stadt lebt einfach vom Tourismus! Dudelsackspieler am Straßenrand, überall werden sämtliche Artikel im Schottenmuster verkauft und man bekommt Haggis, das schottische Nationalgericht, in jedem Restaurant vorgesetzt. Haggis (Schafsmagen mit Schafseingeweiden) ist übrigens sehr lecker, was es auch noch in Varianten als Chips oder Pizza gibt.
Ich hatte auch echt Glück mit meiner Gastfamilie. Mit meiner Gastmutter bin ich auch viel gereist, einmal haben wir sogar eine Woche Ferien in Spanien gemacht. Sie hat mir Glasgow gezeigt, wo sie lange Zeit gelebt hat, Aberdeen, wo sie geboren worden ist und England, wo eines ihrer Kinder wohnt. Ich war auch zu zwei Taufen meiner Gastneffen, was für mich sehr interessant war, da ich noch nie auf einer Taufe war. Als Festkleidung trug der Herr einen Kilt, also einen Schottenrock, was doch beweist wie stolz die Schotten auf ihr Land sind. Manchmal habe ich mit meiner Gastmutter auch zusammen gekocht und sie hat mir schottische Rezepte beigebracht, die echt lecker waren. Viele meinen, dass das schottische Essen nicht sehr genießbar sei, aber dem muss ich widersprechen. Es wird sich wirklich Mühe beim Kochen gegeben und auch öfter mal auf die französische Küche zurückgegriffen, was nun wirklich kein Fehlgriff ist.
Im Oktober haben wir deutschen Austauschschüler mit unserem Betreuer einen Highlandtrip organisiert, der echt Spaß gemacht hat und bei dem das Wetter auch mitgespielt hat. Das Wetter in Schottland hat mich sowieso überrascht. Es hat so auffallend wenig geregnet, dass man dachte, man wäre im falschen Land. Aber dafür hat es im Winter ordentlich geschneit, was eigentlich nicht so üblich für Schottland ist. Somit gab es für diese Überraschung auch gleich ein paar Tage schulfrei, da niemand auf Schnee vorbereitet war und keine Busse fahren konnten. Bei unserem Highlandtrip im Oktober jedenfalls sind wir nach Loch Ness und Inverness gefahren und auf dem Weg durch schöne bunte Wälder mit gigantischen Wasserfällen gewandert. Echt wie im Bilderbuch! Das Seeungeheuer Nessie haben wir übrigens gesehen und konnten sogar ein Freundschaftsbild mit ihm machen…
Weihnachten in Schottland hat mich ein bisschen enttäuscht, da es wirklich sehr übertrieben war und mich sehr an das amerikanische Klischee erinnert hat. Es war auf jeden Fall das aufwändigste Weihnachten in meinem Leben mit all den vielen Familienmitgliedern, dem wahnsinnig vielem Essen und den viel zu vielen Geschenken für die Kinder. In der Schule hatten wir Konzerte und Tanzabende mit schöner schottischer Musik und traditionellen Tänzen, nach denen man regelrecht süchtig werden konnte! Nach Silvester war es nur noch ein halbes Jahr bis ich wieder zurück nach Deutschland musste! Natürlich hab ich mich auch sehr gefreut, da mir meine Familie und Freunde in Deutschland ziemlich gefehlt haben. Wir hatten jede Woche mindestens einmal Kontakt, was echt in Ordnung war und ich somit auch nie schrecklich großes Heimweh hatte und ich habe mein Leben und meine Freiheit hier in Schottland sehr genossen.
Mir hat vor allem diese Ruhe in dem kleinen Städtchen gefallen, da ich aus der Stadt komme und so etwas einfach nicht gewohnt bin. In dem Dorf hat man von viel Verkehr gesprochen, wenn drei Autos auf der Straße fuhren. Auch die Nähe zum Meer war wunderschön. Ich musste nur ein paar Minuten laufen und schon konnte ich wunderbar tolle Sonnenuntergänge am Meer erleben und mit Freunden schöne Abende am Strand verbringen. Das letzte halbe Jahr ging wahnsinnig schnell herum. Man war sehr beschäftigt mit der Schule, hat sich auf die Examen vorbereitet und hat trotzdem noch viel mit Freunden unternommen. Mit meinen Examen, die ich am Ende geschrieben habe, habe ich noch so ganz nebenbei einen schottischen Abschluss gemacht, mit dem ich mich an schottischen Universitäten bewerben kann. Das war eigentlich gar nicht so geplant, aber da ist es jetzt wenigstens nicht so schlimm, wenn ich mein Abitur in den Sand setze...
Der Abschied von Schottland und das Wiedersehen von Deutschland rückten immer näher. Dieses Gefühl der Hin- und Hergerissenheit war schrecklich, aber man konnte nichts ändern. Die letzen Tage waren wir campen und haben eine kleine Abschiedsfeier gemacht. Ich bereue meine Reise auf jeden Fall nicht und kann es jedem nur weiterempfehlen! Es war ein merkwürdiges Gefühl, in den Flieger zurück nach Deutschland zu fliegen, aber plötzlich überwog die Vorfreude. Und tatsächlich, es war so schön, wieder zu Hause zu sein! Ein Jahr später, tausende Erfahrungen reicher, selbstbewusster und mit einer anderen positiveren Einstellung tauche ich wieder in den deutschen Alltag ein. Ein paar meiner Freunde sagen, ich bin aber immer noch die Selbe geblieben und das ist auch gut so, denke ich! Ich bin immer noch in regem Kontakt zu meinen schottischen Freunden; wir konnten uns sogar einmal in Berlin treffen und bald werde ich hoffentlich auch wieder zurück fliegen können. Zurück nach Schottland, einem Land voller Warmherzigkeit und wahrer Klischees - zumindest bis auf den Regen und das Essen.