Schon mehr als zwei Jahre vor meinem Abflugtermin habe ich mich entschlossen, ein Jahr im Ausland zu verbringen. Viele Prospekte später war dann klar, dass es Kanada werden wird, da man dort nicht auf „gut Glück“ irgendwo landet, sondern sich eine Schule und einen Ort aussuchen kann. Die Wartezeit nach der Entscheidung war dann sehr lang, aber dafür war ich umso aufgeregter, als es endlich losging! Nach dem Vorbereitungsseminar wollte ich am liebsten gleich losfliegen und wenige Wochen später bekam ich auch schon meine Gastfamilie genannt. Damit verbunden war aber auch der erste Anruf - ehrlich gesagt, war dass das Schwierigste des ganzen Jahres: Zum ersten Mal mit der Gastfamilie sprechen, auf Englisch! Ich war unglaublich aufgeregt, aber es hat super geklappt und danach habe ich mich riesig gefreut.
Der Abschied am Flughafen fiel mir dann schon fast leicht, weil ich so lange darauf gewartet hatte (meiner Mutter jedoch nicht). Das Toronto-Camp war einfach klasse! Das Wetter war super, wir hatten viel Zeit uns alles anzusehen und dadurch vergingen die Tage wie im Flug. Schon saßen wir alle wieder am Flughafen, kaum einer flog alleine weiter und wir wussten, dass alle anderen gerade genauso aufgeregt waren wie wir. Am Zielflughafen schlug mein Herz bis zum Hals und als ich um die letzte Ecke ging, fiel mein Blick als erstes auf meine Gastfamilie, wir haben uns sofort erkannt! Meine kleine Gastschwester war ganz aufgeregt und schenkte mir gleich einen Plüschbären. Ich war die erste Gastschülerin in der Familie. Für meine Gasteltern war alles ebenso neu wie für mich aber wir haben uns sofort gut verstanden. Den nächsten Tag haben wir zusammen am Strand verbracht und dann ging auch schon die Schule los.
Morgens holte uns tatsächlich ein gelber Schulbus ab, genau wie man es aus dem Fernsehen kennt! Auch die Schule kam mir fast bekannt vor: Jeder Schüler hatte einen Spind, Footballspieler liefen in voller Montur durch die Gänge und überall sah man die Farben der Schule. Zunächst wurde allen Austauschschülern die Schule gezeigt und uns wurde erklärt, wie sich unser Stundenplan zusammensetzt und wo wir um Hilfe fragen können. Danach begann der Schulalltag - morgens ging es immer um 9:00 Uhr los (was ein Luxus!). Den ganzen Vormittag hatte man dasselbe Fach, nach der Mittagspause dann ein Anderes und der Schulschluss war dann um halb vier. Pro Halbjahr belegte man vier unterschiedliche Fächer, neben Englisch und Mathe gab es auch Psychologie, Kochen, Music-Band und vieles mehr. Es war üblich an dem großen Angebot der Nachmittagsaktivitäten teilzunehmen. Da man dort schnell Anschluss fand, war ich z.B. in der Musical-Gruppe (FAME-Academy), Leichtathletik und Outdoor Activities, wo wir verschiedene Ausflüge geplant und unternommen haben.
Die Sprache war gar kein Problem. Zunächst war es frustrierend sich in einer Unterhaltung nicht richtig verständlich machen zu können. Es wurde jedoch schnell besser und ich las sogar bald meiner Gastschwester (6 Jahre) abends Gutenachtgeschichten vor. Da auch sie gerade lesen lernte, haben wir es bei schwierigen Wörtern zusammen versucht. Oft nannte sie mir auch einfach ein anderes Wort, das in den Zusammenhang passte.
Kelowna ist wunderschön an einem großen See gelegen. Im heißen Sommer ideal für Wassersport und trotzdem nicht weit weg von einem riesigen Skigebiet. Dort bin ich mit meiner Gastfamilie fast jedes Wochenende gewesen und habe Snowboarden gelernt. Es fuhr auch jeden schulfreien Tag einen Bus nach „Big White“, dem Skigebiet. Oft habe ich mich dort mit Freunden getroffen und den Tag im Schnee verbracht. Zweimal, nämlich vor Weihnachten und Ostern, haben meine Gastfamilie und ich dort für eine Woche Urlaub gemacht. Wir waren Eisklettern, Snowmobil fahren, Schlittschuh laufen und Marshmallows rösten.
Als das Jahr zu Ende ging, habe ich mich darauf gefreut, nach Hause zu fliegen und alle „alten“ Freunde wiederzusehen. Meine Familie hat mich am Ende des Aufenthalts abgeholt und wir sind durch British Columbia gereist. Ich habe ihnen viele Orte gezeigt, die ich besucht habe und konnte ihnen von meinen Erlebnissen dort erzählen. Erst war es mir fast zu viel die ganze Familie wieder um mich zu haben, nachdem man sich ein Jahr lang nur alle ein bis zwei Wochen per Webcam gesehen hat. Trotzdem war ich glücklich ihnen meine Begeisterung für Land und Leute vermitteln zu können und mit ihnen zusammen die Bilder und Ausflugsziele des Jahres Revue passieren zu lassen. Zurück in Deutschland war ich erst total happy und freute mich alle Freunde wiederzusehen und in die Schule zu gehen, dann habe ich Kanada allerdings sehr vermisst und mir oft gewünscht wieder dorthin zurück zu können. Da ich durch das Jahr in Kanada die 11. Klasse übersprungen habe, war der Wiedereinstieg in den Stoff zunächst anstrengend und hat mich von dem Fernweh nach meiner zweiten Heimat abgelenkt. Es hat auch geholfen, dass ich in den Kursen nur wenige Leute kannte und hier so viele neue Freunde gefunden habe. Vieles in Deutschland war auf einmal ungewohnt oder hat einem im Ausland besser gefallen, obwohl man sich vor dem Jahr nie daran gestört hat. Am meisten habe ich den freundlichen Umgang miteinander vermisst. Während man hier mit gesenktem Kopf durch den Alltag rast, ohne die anderen Menschen wahrzunehmen, wird in Kanada nett gelächelt und gegrüßt. Außerdem habe ich in Kanada aufgrund der Sprache Dinge oft umschrieben, trotzdem haben mich alle verstanden. Zurück zu Hause ging das nicht und ich hatte das Gefühl, dass mich keiner versteht. Ihr braucht Euch aber keine Sorgen zu machen, das alles geht vorbei und macht einem nur umso bewusster, was für eine großartige Zeit man erlebt hat.
Ich hoffe, dass Ihr Euch alle für ein Jahr im Ausland entscheidet, denn es bringt Euch so viel. Ich glaube ich kann das gar nicht richtig in Worte fassen. Vielleicht so: Ihr bekommt zweimal die Möglichkeit Euch zu Eurem Ideal hin zu verändern. Einmal im Ausland und danach wieder zurück in Deutschland. Man kann mit hundert Begriffen beschreiben wie Ihr Euch verändert, aber, kurz gesagt, Ihr werdet einfach erwachsen(er). Niemand kann Euch diese Erfahrung mehr nehmen und in Eurem Herzen werdet Ihr immer zwei Orte mit „zu Hause“ verbinden.