Eine unvergessliche Zeit in Frankreich: Aufregung, Vorfreude, Nervosität… die Liste der Gefühle ist ziemlich lang, wenn man kurz davor steht, ein halbes oder ganzes Jahr im Ausland zu verbringen! So war es zumindest bei mir, als ich Ende August endlich nach Frankreich aufbrach, um dort fünf Monate lang den französischen Alltag, die Schule, die Menschen und ihre Sprache, also das ganze «savoir vivre» der Franzosen kennen zu lernen. Die Vorbereitungen auf dieses Abenteuer waren schon sehr lange im Vorhinein angelaufen, als ich mich dazu entschloss, das erste Halbjahr der deutschen Oberstufe statt in meiner gewohnten Umgebung in Frankreich zu verbringen.
Ich klickte mich durch etliche Internetseiten und bestellte Stapel von Broschüren, um die richtige Austauschorganisation für mich zu finden. Als die Wahl auf into gefallen war und ich im Winter ein echt super Vorstellungsgespräch in Köln hinter mir hatte, begann die Zeit des Unterlagen Ausfüllens, Informationen Sammelns – und Wartens auf die Gastfamilie. Mitte März schon überraschte mich ein Anruf aus Köln, gab es denn schon etwas Neues?? – Aber hallo, into hatte schon eine Gastfamilie in der Bretagne für mich gefunden! Der erste etwas zaghafte Kontakt stellte sich als gar nicht so schwer heraus und wir telefonierten ungefähr jeden Monat einmal, um uns näher kennen zu lernen. Das bald darauf folgende, zum into-Programm dazugehörende, Vorbereitungswochenende in einer Jugendherberge mit vielen anderen „Hopees“, die in die ganze Welt wollten, war richtig lustig und ließ mich all meine Bedenken vergessen – wenn allein die Vorbereitung mit all den anderen Jugendlichen so viel Spaß machte, konnte das Auslandshalbjahr ja nur super werden!
Ein paar Zweifel kamen mir dann doch noch pünktlich Ende August, als ich anfing zu packen. Wieso verlasse ich überhaupt meine Freunde und Familie? Was nimmt man für ein halbes Jahr fern von zu Hause alles mit? Und schließlich: Wie passt dieser Berg von Klamotten in meinen Koffer?? Aber auch das war ein paar Stunden vor Abflug geschafft und als ich dann mit zwei anderen Austauschschülern im Flugzeug saß, konnten wir noch gar nicht richtig glauben, dass wir Deutschland nun für fünf oder zehn Monate den Rücken kehrten – wir fanden es trotzdem super und waren vor Reiselust ziemlich albern auf unserer halbtägigen Fahrt quer durch Frankreich. Relativ erschöpft von der ganzen Aufregung kam ich spätnachmittags in meiner Gastfamilie an, und obwohl ich mich anfangs noch recht fremd dort fühlte, war ich sicher, ich würde mich schnell eingewöhnen. Staunend erlebte ich dann die darauf folgenden Wochen in meiner neuen Umgebung, und es machte unglaublichen Spaß, ständig neue Menschen kennen zu lernen und zu versuchen, mit ihnen zu kommunizieren. Denn obwohl ich in Deutschland recht gut in Französisch gewesen war, konnte ich dem allgemeinen Sprachtempo kaum folgen. Doch ohne es wirklich zu merken verstand ich immer besser, lernte unbewusst eine Unmenge neuer Wörter in der Schule und in der Gastfamilie und machte selbst immer mehr den Mund auf. Nach zwei Monaten schließlich fing es so richtig an mit dem Drauflosreden! Die Freundschaften wurden enger und es gab weiterhin eine Menge zu Lachen, wenn ich irgendwelche für die Franzosen anscheinend sehr lustigen Sprüche von mir gab.
Nach rund drei Monaten kam es in meiner Gastfamilie zu Schwierigkeiten und unsere unterschiedlichen Charaktere zeigten sich, so dass ich entschied, dass ein Wechsel das Beste für mich wäre. Das war nicht ganz einfach, aber sobald die Entscheidung gefallen war, war ich schon sehr erleichtert und ich bekam von allen Seiten Unterstützung. Meine Freunde in der Schule trösteten mich und munterten mich auf, die französische Partnerorganisation und meine Koordinatorin riefen mich oft an und versicherten mir, dass ganz schnell eine neue Familie gefunden sein würde. Sie behielten Recht, denn gleich zwei Schulfreundinnen erklärten sich gerne bereit, mich für die restlichen Monate aufzunehmen. Ich muss wirklich sagen, dass es mich überraschte, wie unproblematisch der Umzug nach einer Woche vonstatten ging, denn ich hatte vorher genug Ängste gehabt, wie ich meiner unwissenden Gastfamilie das alles erklären sollte. Aber diese Aufgabe nahm meine Koordinatorin mir ab und mit ihrer Hilfe zog ich überglücklich in mein neues Zimmer bei meiner Freundin Léa ein, wo ich mich sofort pudelwohl fühlte und meine Gastmutter mir schon innerhalb der ersten zwei Wochen sagte, ich sei wie eine richtige Tochter für sie. Von nun an unternahmen wir viele Tagesausflüge ans nahe Meer, wo wirklich wunderschöne Strände und Klippen sind, fuhren in die nächst größeren Städte oder gingen spontan alle zwei Wochen mit meinen Gastgeschwistern oder Freundinnen ins Kino. Es war allein schon ein Ereignis, mit meiner 5-köpfigen Gastfamilie im Wohnzimmer zu sitzen und französische Kultfilme wie „Bienvenue chez les Ch’tis“ oder „La grande vadrouille“ zu gucken, wo ich mich einfach nur weglachen konnte, weil vor allem ersterer Film auf Französisch (auf Deutsch habe ich ihn nie gesehen) einfach nur klasse ist. Meine Gastschwestern und ich schafften es sogar, bei „Le seigneur des anneaux“ (=„Herr der Ringe“) abwechselnd in Lachkrämpfe und Tränenfließen auszubrechen.
Im Dezember merkte ich: Der bretonische Winter ist so eine Sache für sich. Ungewöhnlicherweise schneite es dieses Jahr richtig – das sind die Bretonen gar nicht gewohnt! Klar ging es erstmal raus, Schneemann bauen. Und Weihnachten, genau wie Silvester, war fast weiß. Tanten, Onkel und Cousins kamen uns besuchen und ich hatte angesichts dieses Festes kein bisschen Heimweh, es war einfach nur schön. Sogar am zweiten Weihnachtstag fuhren wir ans Meer und hatten eine Menge Spaß bei ausgedehnten Spaziergängen und in der Crêperie. Kurz nach Silvester, das in der Bretagne völlig ohne Feuerwerk aber trotzdem ordentlich gefeiert wird, merkte ich dann, was unausweichlich war: Es waren nur noch drei Wochen bis zu meiner Abreise! Ich konnte und wollte das gar nicht glauben und auch meine Gastschwester Léa sagte: „Ach hör auf damit, das macht mich wahnsinnig traurig!“. Die Zeit war wie im Fluge vergangen und ich versuchte, das Datum meiner Abreise möglichst oft zu verdrängen. Was auch gelang, denn Schule im Winter ist in der Bretagne etwas ganz Besonderes: Weil die Bretonen sich gar nicht erst um Winterreifen bemühen - das lohnt ja für einmal Schnee in fünf Jahren nicht - fuhren auch keine Schulbusse. Unser Schulweg war zwar zu Fuß zu bewältigen, aber mindestens dreiviertel der Schüler und auch viele Lehrer an meinem Lycée kamen von weiter weg. So kam es, dass bei zwei Zentimetern Schnee auf der Straße (und das ist nicht untertrieben) tagelang der Unterricht ausfiel! Das fanden wir natürlich super, verlängerte Ferien! Außerdem wurden dadurch die mündlichen Prüfungen in Französisch um eine Woche nach hinten verlegt – auf die Woche nach meinem Abflug, was mir ganz gelegen kam, weil ich reichlich Bammel davor gehabt hatte, obwohl ich laut meines Zeugnisses im Durchschnitt Klassenbeste war – bei zehn Mitschülern nicht ganz so schwer. Irgendwann Ende Januar kam dann, was kommen musste: das Kofferpacken und Verabschieden. Meine Gastschwestern und ich organisierten eine Abschiedsparty, sodass ich den letzten Abend mit meinen engsten Freunden verbringen konnte, und es wurde noch einmal richtig gefeiert – und eine Menge Tränen vergossen, als die Nacht zu Ende ging. Fünf Monate waren unglaublich schnell vergangen, für mich war es unvorstellbar, auf einmal nach Hause zu fliegen. So trennte ich mich von meinen zur zweiten Familie gewordenen Gasteltern und Geschwistern mit dem Versprechen, uns bald wieder zu sehen und auf jeden Fall in Kontakt zu bleiben. Das letzte, was ich von Frankreich sah, waren die wunderschönen nächtlichen Lichter von Paris aus dem Flugzeugfenster heraus…