„Die Triebwerke starteten und die Maschine setzte sich langsam, dann immer schneller, in Bewegung. Das Fenster zu meiner Rechten erlaubte mir letzte Blicke auf das in Dunkelheit getauchte Buenos Aires zu erhaschen, ehe sich das Flugzeug mit gewohnter Lässigkeit vom Boden trennte und stetig an Höhe gewann.In diesem Augenblick wurde mir klar: Dein Austauschjahr in Argentinien ist zwar beendet, doch wirst du noch lange an deinen Erfahrungen und Erinnerungen zu nagen haben. Vergessen, soviel schien sicher, würde ich es nie!“
Als ich Ende Juli 2007 mit hohen Erwartungen und großem Enthusiasmus im Gepäck an genau diesem Ort, der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, das erste Mal südamerikanischen Boden betrat, hätte ich mir nicht im Entferntesten ausmalen können, wie prägend die Erfahrung einer fremden Kultur sein kann, die einem bisher verschlossen blieb. Und tatsächlich sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass die argentinische Kultur trotz ihres manchmal europäisch gefärbten Erscheinungsbildes einen Gegensatz zu jener Lebensart darstellt, wie ich sie kannte. Etwas völlig neues kennenzulernen, einzigartige Erfahrungen zu machen und meinen kulturellen Horizont zu erweitern waren sämtlich Reize, die mich schließlich nach Argentinien führten. Und diese Entscheidung, die ich damals eher spontan als geplant traf, so wurde mir erst wesentlich später bewusst, hätte nicht besser sein können. „Dem Schmiss ins kalte Wasser steht nun eigentlich nichts mehr im Wege“, dachte ich, als wir an einem für argentinische Verhältnisse recht kühlen aber sonnigen Wintertag im Juli am Flughafen Ezeiza eintrafen. Doch noch war es nicht soweit, denn das Programm enthielt eine Art Orientierungswoche in der Großstadt Rosario etwa 400 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires. Ziel dieser Einführung war es, uns mit der argentinische Kultur und der spanischen Sprache grob vertraut zu machen. Außerdem lagen Lockerungs- und Motivationsübungen an der Tagesordnung, um uns auf das Kommende vorzubereiten. Von diesen Tagen an wurde die lokale Partnerorganisation WEP Argentina unser ständiger Begleiter und Betreuer während des gesamten Austauschjahres. Als sich die Woche ihrem Ende näherte und der Tag der ersten Begegnung mit der Gastfamilie in großen Schritten auf uns zu kam, wuchs die Aufregung in mir und die Spannung nahm unweigerlich zu. Dann war es soweit: Es ging in die etwa eine Stunde entfernt liegende Kleinstadt Casilda und mit ihren rund 40.000 Einwohnern hatte sie die perfekte Größe – nicht zu groß aber auch nicht zu klein, gerade richtig für einen „intercambio cultural“. Doch dieser Tag gab mir nicht nur ein neues Lebensumfeld, sondern auch eine neue Familie, der ich vor allem im Nachhinein viel zu verdanken habe und stets einen wichtigen Teil meiner Erinnerungen einnehmen wird. Trotz meiner fehlenden Spanisch-Kenntnisse gelang es mir durch die Offenheit, Herzlichkeit und das Interesse meiner Familie, aber auch aller anderen Menschen schnell Anschluss an das argentinische Leben zu finden und das Land gefiel mir von Tag zu Tag mehr. Dieses Verhältnis zu Argentinien erhärtete sich vor allem während den zahlreichenReisen und Ausflügen, die ich mit meiner Familie, Freunden, meiner Schule oder anderen Austauschschülern mit WEP Argentina unternommen habe. Vor allem durch den sozialen Umgang gegenüber Ausländern zeichnet sich der typische Argentinier aus, wodurch es mir nicht sonderlich schwer fiel, mich in das gesellschaftliche Leben zu integrieren. Doch was genau macht einen gelungen Schüleraustausch neben der erfolgreichenIntegration noch aus? Obwohl sich ich mir die Frage erst später stellte, so wurdeschnell deutlich, dass sich auch die negativen Erfahrungen als durchaus positivherausstellten: „Todo es parte de la experiencia!“ – Eine solche Einstellung erlaubtees mir, auch auf den ersten Blick schwierige Situationen als positive Erfahrung zuverbuchen. Das Leben in Casilda als Austauschschüler war trotz der beschaulichen Größe der Stadt äußerst vielseitig und abwechslungsreich. Zusammen mit argentinischen Freunden und einigen anderen in Casilda lebenden Austauschschülern lernten wir den wohl bekanntesten argentinischen Tanz kennen: den „Tango Argentino“. Es war etwa um Weihnachten im Dezember, mitten im Hochsommer, als wir unseren ersten Auftritt im Stadttheater hatten und bis ins kommende Jahr sind wir unserer Gruppe treu geblieben und sind auf verschiedenen Veranstaltungen aufgetreten. Bei meiner ersten Schule in Casilda handelte es sich um eine Art Landwirtschaftsschule, der „Escuela Agritechnica“. Der Unterricht begann morgens gegen 07:50 und dauerte mit Unterbrechungen bis nachmittags, wobei das Stutzen von Rinderhörnern oder das Melken von Kühen in den frühen Morgenstunden durchaus nichts Ungewöhnliches war, während nachmittags der gewöhnliche Theorieunterricht stattfand mit den Materien wie sie auch in Deutschland üblich sind. Mein zweites argentinisches Schulerlebnis bestand aus einer weniger exotischenSchulform, jedoch hatte auch dieses „colegio“ seinen speziellen Charme. Neben dem täglichen Fahnenapell stand das Tragen von Schuluniformen, die mit weißen Arztkitteln zu vergleichen sind („guardapolvo“), auf dem Tagesprogramm. Als blonder Europäer scheint die Frage der schulischen Integration überflüssig zu sein; auch wenn der, natürlich völlig unbegründete Verdacht bestand, meine Haare wären nur eine billige Perücke! Was verbindet der Durchschnittseuropäer heutzutage eigentlich mit Argentinien? Den Tango? Auf wild herum hüpfenden Pferden reitende Gauchos? Oder vielleicht das unübertroffene argentinische Rindersteak, das nebenbei bemerkt seinen Ruf völlig zu Recht trägt?! Wie dem auch sein, jedenfalls hat das Land wesentlich mehr zu bieten als allgemein bekannt ist. Mir wurde dies während meiner Reisen quer durch Argentinien von den „Cataratas de Iguazú“ bis hin nach Ushuaia auf „Tierra del Fuego“ bewusst und tatsächlich bietet das Land neben arktischer Kälte und gigantischen Gletschern im äußersten Süden auch tropisches Klima im Nordosten sowie Wüstenlandschaften im Nordwesten, traumhafte Strände an der Atlantikküste, Ski-Spaß in den Anden oder die klassische Flachland-Pampa im Zentrum des riesigen Landes. Wie die Vorlieben des Reisenden auch immer sein mögen so hat doch jede Zone ihren eigenen Charakter und die grenzenlose Vielfalt macht Argentinien zweifellos zu einem einzigartigen Erlebnis. Zurück in Europa und die kulturellen Gegensätze lassen mich den Bruch spüren. Doch worauf kann ich im Nachhinein zurückblicken? Ein Jahr Argentinien; das heißt auch eine ganze Menge Leute kennenzulernen und ein Leben ohne einige von ihnen wäre für mich heute kaum mehr vorzustellen… Ein Abriss der Gesamterfahrung; zu wenig, um sich ein detailliertes Bild Argentiniens zu machen, doch zu viel, um dem Charme des Landes nicht zu erliegen. Wer etwas Neues sucht und nebenbei auch noch das beste Spanisch der Welt lernen möchte, dem sei an dieser Stelle „La Argentina“ wärmstens empfohlen!