Das Abenteuer beginnt - Eintauchen in eine neue Welt: Nach 11,5 Stunden Flugzeit erreichte ich endlich das Land, in dem ich die nächsten zwei Monate leben sollte. Durch das Flugzeugfenster bestaunte ich die grüne Dschungellandschaft Costa Ricas von oben. Es war traumhaft! Auch die Fahrt nach Alajuela, wo ich leben und arbeiten sollte, bestätigte mich in meiner Landeswahl - wir fuhren vorbei an Kaffeeplantagen und Palmenwäldern. In Alajuela angekommen, wurde ich im Haus meiner zukünftigen Gastfamilie freundlich aufgenommen.
Meine Freiwilligenarbeit - Kinderlachen gern gesehen: Mein Projekt bestand aus einem wirtschaftlichen und einem sozialen Teil in einem Kinderhort in Alajuela. Die Organisation vermittelte mir eine Stelle in einem örtlichen Kinderhort, indem täglich vier Gruppen à 23 Kindern betreut wurden. Die Kinder kamen häufig aus Familien mit wenig finanziellen Mitteln, waren Opfer körperlicher Gewalt oder hatten keinen Vater mehr. Umso mehr freute es uns als Team, wenn wir sie zum Lachen bringen konnten. Einigen von ihnen wollten sogar mit mir zurück nach Deutschland, was den Abschied nach zwei Monaten sehr schmerzlich gestaltete.
Landschaftlich gesehen ist Costa Rica ein wahres Paradies. Während all meiner Urlaubsreisen hatte ich noch nie solch landschaftliche Schönheit bewundert. Die Wochenenden nutzte ich daher zum Reisen. Von der Hauptstadt San Jose gibt es Busverbindungen quer durch Costa Rica. Der kleine Staat hat einiges zu bieten: unberührte Strände an der Karibik- und Pazifikküste, tropische Regenwälder, Berge, aktive Vulkane und viele Surfspots. Die Liste weiterer Traumorte, kann ich ohne Weiteres fortführen. Am Tag des Abschiedes stecken neben leckeren Platanoschips, wertvolle Erfahrungen in meinem Rucksack. Durch das Familienleben und den Arbeitsalltag konnte ich das Land fernab von Touristenpfaden kennen und lieben lernen. „Pura Vida!“, wie es die Tico’s (Costa-Ricaner) sagen würden.
Mein Auslandspraktikum im Kinderhort: Der Kinderhort wurde 1952 gegründet, um die Gesundheit, Ernährung und Bildung der (oft aus armen Verhältnissen kommenden) Kinder zu verbessern. Mittlerweile gibt es in Costa Rica bereits über 500 solcher "Centros". Soweit die Theorie, in der Praxis bzw. in "meinem" Projekt in Alajuela bedeutet dies: 85 Kinder im Alter von 2-7 Jahren bekommen in der Zeit von ca. 8:00 bis 15:00 (was ungefähr auch meinen Arbeitszeiten entspricht) drei Mal etwas zu Essen (Frühstück, Mittagessen und "Merienda"/"Nachmittagssnack"), altersgerechten Unterricht und durchgehende Betreuung. Zudem wird monatlich an jede Familie ein 1,6 kg schweres Päckchen Milchpulver (billiger und hält sich deutlich länger als normale Milch) für die Kinder zum Verzehr zu Hause verteilt, und für die an Unterernährung leidenden Kinder zusätzlich Kehrpakete mit bestimmten Lebensmitteln, um sie "aufzupäppeln".
Dafür zuständig sind fünf "Lehrerinnen", drei Köchinnen, eine Psychologin, eine Sekretärin, eine Ernährungsexpertin (die vorgibt, welche Zutaten in welcher Menge gekocht werden, die Kernpakete verteilt und außerdem einmal im Monat die Kinder misst, wiegt und auf sonstige Krankheiten durchcheckt), und Niña Lucrecia, die Chefin des ganzen Ladens. Alle sind sehr freundliche Menschen und ich kam von Anfang an mit allen gut klar. Direkten Kontakt mit den Kindern haben eigentlich nur die Lehrerinnen, auf Spanisch "Niñas", der Rest ist größtenteils in der Küche oder im Büro anzutreffen.
Meine Aufgabe ist es, den Niñas in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen und der Direktorin bei Ihren Aufgaben behilflich zu sein. Die Kombination aus sozialer Arbeit und wirtschaftliche Tätigkeiten gefiel mir sehr. Besonders interessant waren die Lehrgespräche mit der Direktorin und den Leitern aus den anderen Kinderhorts. Einer meiner Highlights war die Planung des Kindertages, „Dia del Niño“, der jedes Jahr am 9. September in Costa Rica stattfindet. Während meines Einsatzes hatten wir zahlreiche Projekte im Kinderhort, wie z. B. ein Recycling Projekt, wo sich der Kinderhort in Alajuela nebenbei ein kleines Taschengeld verdient. Mit dem ersparten Geld werden Dinge erworben, die staatlich nicht finanziert werden, wie beispielsweise die Geschenke für das Fest der Kinder.
Grundsätzlich nehme ich an allen alltäglichen Aktivitäten teil und versuche mich soweit wie möglich einzubringen (was nicht sehr schwer ist, denn dafür sorgen schon die Kinder, sodass mir gar nichts anderes übrig bleibt als ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken). Ich helfe bei der Essensvergabe, assistiere in den kleinen Unterrichtseinheiten, in denen die Kinder Zahlen, Buchstaben, Farben, Tiere, Wochentage, Monate, die Uhrzeit, Erdkunde und noch vieles mehr lernen, Lieder singen oder sich im kleinen Außenbereich, sogenannten „Patio“, austoben. Ich bereite Material vor, lobe jedes „Kunstwerk“ (Bilder, Puzzles, Gebilde aus Bauklötzen, etc.), das mir unter die Nase gehalten wird, höre mir ihre Geschichten an (auch wenn ich noch nicht alles verstehe, was für die Kinder allerdings kaum eine Rolle spielt), passe auf, dass sie sich nicht gegenseitig mit dem Fußball abschießen, Sachen wegnehmen oder umrennen, tröste, wenn es doch mal passiert, verwandle täglich nach dem Mittagessen den Freizeitraum in einen Schlafsaal, beschäftige die, die nicht Siesta machen wollen, nicht schlafen können oder bereits wieder aufgewacht sind, lese ihnen Geschichten vor, hebe jeden gefühlt 300 mal am Tag hoch damit sie die Decke berühren können, und lerne auch nach und nach die Mütter kennen, die ihre Kleinen täglich hinbringen und abholen oder auch zu Mittag mitessen.
Denn mein Kinderhort unterstützt besonders alleinerziehende Mütter, die aufgrund der Arbeit keine Zeit für ihre Kinder haben, sich aber auch keine private Betreuung bzw. Kindergarten leisten können (private Kindergärten, Schulen und sogar Friedhöfe sind hier relativ verbreitet, jedoch natürlich nur für die Schichten, die sich es auch leisten können). Die Einrichtung lädt deshalb auch die Mütter mitsamt Kindern, die noch nicht oder nicht mehr ins Cen gehen, zum gemeinsamen Mittagessen ein, was täglich ca. 5 Mütter auch in Anspruch nehmen.
Der Kinderhort liegt ein wenig abseits des hübschen Stadtzentrums Alajuela und grenzt an einem von Armut und Kriminalität gezeichneten äußeren Stadtteil. Viele Kinder kommen aus diesem Viertel, aber auch aus anderen verschiedenen Vierteln und Umgebung. Jeden Tag mache ich mich also auf meinen 25-minütigen Fußmarsch vom Stadtviertel „Urbanication Ciruelas“ in Alajuela zum Projekt nahe des Flughafens auf der anderen Seite und pendle somit tagtäglich zwischen zwei verschiedenen Welten. Jeder, der in Deutschland über die Schere zwischen arm und reich jammert, ist herzlich dazu eingeladen, mich einmal auf diesem Spaziergang zu begleiten.
Ich möchte jedoch nicht verallgemeinern; es gibt auch (materiell) „reichere“ Kinder, die den Kinderhort besuchen. Jeden Morgen höre ich um 7.45 Uhr den Wecker klingeln, genieße meine Arbeitszeiten, mache mich wenig später auf den Weg, betrete die Klassenräume und werde von den strahlenden Kindern mit einem lauten „Marioooooo“ begrüßt. Nachdem 23 Kinder um meinen Hals fallen und sich die Lage beruhigt hat, beginnt auch schon der Unterricht. Die Arbeit macht mir auf jeden Fall eine Menge Freude, auch wenn es einem vielleicht nicht allzu spektakulär vorkommt, aber wenn man die Hintergründe und Schicksale einiger Kinder erst mal kennt, erscheint die gesamte Arbeit schon wieder in einem ganz anderen Licht. Besonders die Englischunterrichtseinheit, die ich alleine unterrichten darf, gefällt mir sehr. Es macht mir eine Freude den Kindern spielerisch eine neue Sprache beizubringen.
Die Arbeit mit der Direktorin hat mir auch sehr viel Spaß gemacht. Hier durfte ich in jeden Bereich reinschnuppern. Von Personalplanung bis hin zur Organisation in der Mensa, waren alle Aufgabenbereiche dabei. Da sich der Kinderhort größtenteils durch staatliche mittel finanziert, ist eine monatliche Aufstellung aller Ausgaben zu erstellen. Hier durfte ich bei der Aufstellung mitwirken. Außerdem wurden Grafiken erstellt, die den Gesundheitszustand der Kinder darstellt. Jedes Kind hat eine Akte mit verschiedenen Daten, wie Körpergröße, Gewicht, Alter. Die Grafik veranschaulicht den Entwicklungszustand der Kinder. Je nach dem in welchem Bereich sich das Kind befindet, muss die Direktorin einschreiten und gegebenenfalls den Arzt kontaktieren. Beispielsweise bei starken Abweichungen der Werte (Körpergröße oder Körpergewicht) werden die Kinder intensiver betreut und beobachtet.
Rückblickend war es eine sehr gute Entscheidung über die Organisation into nach Costa Rica zu gehen. Die Zeit in einem fremden Land hat meine Persönlichkeit verändert. Ich konnte meinen Horizont erweitern und bin mir zu 100% sicher, dass es nicht das letzte Mal in Costa Rica war.